Sonntag, 14. Dezember 2008

Schnecken in Essenz

„Schnecken schmecken“ lautete die Überschrift im Lokalteil. Und „Spitzenköche für Afrika“ - Wolfgang Poluzyn ist mit seinem Restaurant „Essenz“ mit von der Partie.

Also, ich fühlte mich schon etwas dekadent, ein Schlemmermenü mit einem wohltätigen Anlass zu verbinden. Auch wenn Spitzenköche ihren Namen einsetzen, um Karlheinz Böhm bei seinem Lebenswerk zu unterstützen, etwas für Afrikas notleidende Kinder zu tun. Wäre wohl besser gewesen, die verbratene Gesamtsumme zu spenden und einen anderen Anlass zum Schnecken-Schlemmen zu suchen. Soll aber keine Kritik am Organisator sein, Wolfgang Bos, dem „Delikatessenexperten“ aus Meerbusch-Büderich (Bosfood). Denke er hat es gut gemeint. Manchen negativen Stimmen, die meinen mögen, es sei alles nur Öffentlichkeitsarbeit, mag ich nicht unbedingt zustimmen. Wenden wir uns also den rein kulinarischen Aspekten zu.

Das Restaurant befindet sich im Zentrum von Neuss, Mühlenstrasse 27, Telefon 02131 273691. Es handelt sich um die Räume der Neusser Bürgergesellschaft, deren Existenz eng mit dem bekannten Neusser Schützenfest verbandelt ist. Der Gastronom wirkt seit 2005 in diesen Räumen und hat sich offenbar inzwischen mehr oder weniger gegen die Klientel behauptet, die Toast Hawaii als Inbegriff kulinarischer Höhepunkte definiert. Man kann mit Fug und Recht vermuten, dass er das noch einige Zeit durchsteht, vermittelt er doch das Bild eines engagierten Spitzengastronomen, wenn er von seien Produkten spricht. Dann leuchten seine Augen und man möchte standepede all das probieren, wovon er gerade redet.

Über das Ambiente des Lokals kann man geteilter Meinung sein. Kulinariker sollten jedoch in der Lage sein, sich auf wesentliches zu konzentrieren. Immerhin ist genug Platz, man fühlt sich nicht zusammengedrängt, wie wir es öfter in Restaurants erlebt haben, die einen Teil ihrer Einnahmen offensichtlich an südländische ehrenwerte Organisationen abgeben dürfen. Schauen Sie doch mal rein: http://www.essenz-neuss.de/.

Wenn es darum geht, Schnecken zu verzehren, dürfte das Interesse der kulinarisch interessierten Mitbürger ebenso geteilt sein. Da haben wir als Gastgeber schon beeindruckende Reaktionen erlebt.
Nichtsdestotrotz, wer es ohne Ekel schafft, schätzt die vom Schleim befreiten kleinen Salatfresser durchaus als wohlschmeckende Bereicherung seiner Speisekarte. Es müssen nicht unbedingt die eingedosten Kriechtiere aus Frankreich sein. Die „Grafschafter Weinbergschneckenzucht“ wirbt mit biologischer Freilandhaltung. Die Eheleute Angelika und Ralf Dickel, Betreiber der Zucht, hatten die Tiere für den Abend gespendet und wussten einiges über die Probleme und Ergebnisse der Freilandhaltung zu erzählen. Adresse: Kohlenhucker Weg 207, 47445 Moers, Telefon 02841/780986, www.grafschafter-weinbergschneckenzucht.de.

Wer nun in Memorian vergangener – meist französischer – Schnecken(fr)ess-Orgien mit viel Knoblauch, Öl und Weißbrot ähnliches erwartet hatte, wurde mit einem Menü überrascht, in dem die Tierchen zwar vorhanden, aber beileibe nicht dominant waren. Vermisst haben wir eine abgestimmte Weinbegleitung, aber dank des engagierten Oberkellners habe wir uns diese selbst zusammengestellt.

Das Menü begann mit einem Schneckenpärchen auf kleinem Gebackenen, dem Amuse Geule, dem ein Schneckentöpfchen unter der Blätterteighaube folgte. Die Essenz, in dem die Schnecken eingelegt waren, war sehr apart und lies Rückschlüsse auf den Namen des Restaurants zu. Der dazu vom Ober empfohlene „Ursprung“, ein Rotwein-Cuvee aus der Pfalz war passend.

Mit dem nächsten Gang, einer Schneckencurryrahmsuppe mit blauem Curry wurden wir dann sehr überrascht, ein äußerst intensiver Geschmack. Von blauem Curry hatten wir noch nie gehört, beileibe ihn versucht. Es hat sich aber gelohnt, ihn zu schmecken und wir sind sicher, es war nicht das letzte Mal. Man kann ihn bei Bosfood kaufen, teilte uns der Gastronom mit. Der Grauburgunder dazu war ebenso eine gute Abrundung wie der rote Cuvee zum Schneckentöpfchen.

Nun waren wir doch sehr auf das Hauptgericht gespannt, eine Steigerung des Wohlgeschmacks konnte es ja kaum noch geben. Angekündigt war ein mit Schnecken gefülltes Rinderfilet auf einer Kräuter-Pernod-Sauce mit frischem Gemüse in Vanilleöl und Kartoffelschnecken. Der Ober hatte uns dazu tatsächlich Weißwein empfohlen, entweder einen halb trockenen Selbach Riesling oder einen Sizilianer vom Weingut Regaleali. Eigentlich ist in meinem Hirn fest gebrannt, zu Rinderfilet passt ein kräftiger Rotwein und sonst nichts, war aber etwas unsicher wegen der Schneckenbeilage. Wir nahmen je ein Glas und um es vorwegzunehmen, ich würde es nicht wieder tun. Der Cuvee wäre besser gewesen. Aber es gibt ja Menschen, die glauben, Riesling passt zu allen Gerichten. Ich glaube es nicht, aber auch darum gab es schon heiße Diskussionen bis an den Rand körperlicher Aktionen mit einem geschätzten Mitglied meiner Familie, der an diesem Abend nicht dabei war.

Da kam nun das Rinderfilet und ich war gespannt, wie der Koch die Schnecken drapiert hatte. Erwartet hatte ich ich einen großen mittigen Schnitt, in dem die Tiere eingeschoben waren, das Ganze zu geklappt. War aber nicht. Sie waren in kleine, herausgeschnittene Vertiefungen eingelegt und man musste schon genau hinsehen, um sie wahr zu nehmen. Warum ich das hier schreibe? Naja, vielleicht nicht wesentlich, aber interessant für den nachvollziehenden Genuss. Pernod und Vanilleöl hätte man erraten müssen, wenn wir es nicht gewusst hätten, aber so muss es eben sein, denke ich, es geht um das gesamte Geschmacksbild, dominieren darf da nichts. Zwischenzeitlich glaubte ich, auch etwas Estragon herauszuschmecken. Sicher bin ich da nicht. Sicher bin ich aber, dass das Gesamtgebilde überaus harmonisch war. Ehrlich, wenn die Schnecken gefehlt hätten, ich hätte sie kaum vermisst. Ob ich nun ein Riesenbanause bin, mögen andere beurteilen.

Trotzdem noch ein Wort zu den Schnecken. Sie schmeckten etwas nussig, genau wie von Frau Dickel angesagt. Jedenfalls besser als die Dosenware aus Frankreich, da gebe ich ihr recht.

Es gab auch noch ein Dessert. Natürlich auch Schnecken, aber aus Marzipan.

Und was haben wir mitgenommen? Die Erkenntnis, dass es sich lohnt, beim Gastronomen Wolfgang Poluzyn einzukehren, auch wenn er eines Tages die Bürgergesellschaft verlassen sollte. Und die Schneckenzucht in Moers werden wir auch noch heimsuchen. Wer auf die Homepage geht, erfährt, dass man sich dort auch bewirten lassen kann.






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